Literatur: Flüstern in der Dunkelheit - Kapitel: 1


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VerseExkurs - Literatur: Flüstern in der Dunkelheit - Kapitel: 1


Leute machen Dinge kompliziert. Darin waren sie schon immer gut. In jeder Zivilisation sieht man Chaos, Verwirrung und Frustration. Es können Menschen, Xi’an, Banu, Vanduul oder sonst wer sein. Wir sehen vielleicht verschieden aus, sind anders gebaut, im Grunde findet man aber bei uns allen dieselben Unsicherheiten, Ängste und Sorgen.
Tonya Oriel betrachtete das gähnende Nichts vor dem Fenster. Kacelis Adagio hallte sanft durch das sonst leere Schiff. Die Scanner, auf der Jagd nach markierten Anomalien, rotierten durch ihre jeweiligen Spektren.

Die Leere. Sie war rein. Sie war simpel. Sie war permanent.

Eine ruhige Gelassenheit legte sich um Tonyas Schultern wie eine Decke. Die Art, die man nur spürt, wenn man die einzige Person im Umkreis Tausender Kilometer ist. Auf Terra, auf der Erde oder Titus gab es nie einen Moment, indem sich keine weitere Person über, neben oder unter einem befindet. Alles war dort immer Lärm. Tonya hingegen brauchte die Stille.

Ihr Schiff, die Beacon, streifte durch diese Stille. Tonya hatte fast jeden Hardpoint mit irgendeiner Art Scanner, Tiefenraum-Kommunikationssystem oder Überlebenstechnologie ausgestattet, um weiter und weiter von dem Lärm wegzukommen.

Das Problem war, dass ihr dieser Lärm folgte.

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Nach drei Wochen im Drift konnte Tonya es nicht mehr herauszögern. Es wurde Zeit für eine Versorgungstour, während der sie die Daten und Mineralien verkaufen würde, die sie gesammelt hatte.

Nach Reparaturen, neuen Filtern und einem Spectrum-Update hoffte sie, noch genug für etwas zu Essen übrig zu haben.

Der Xenia Shipping Hub im Baker System, kam in den letzten fünf Jahren ihrem Zuhause am nächsten. Tonya stellte ihren Anflug durch das sich ständig ändernde Muster ankommender und abfliegender Schiffe ein. Der Verkehr rund um die Station war geschäftiger als üblich. Sobald die Beacon angedockt hatte, summte ihr Bildschirm mit einer Hand voll neuer Nachrichten aus dem Spectrum. Sie leitete diese an ihr mobiGlas weiter und begab sich zur Luftschleuse.

Tonya hielt am Eingang an, genoss den letzten Moment der Einsamkeit, während der Luftschleusen-Zyklus lief und drückte dann den Knopf. Die Geräusche von Menschen schwappten ins Innere wie eine Welle. Sie brauchte eine Sekunde, um sich zu akklimatisieren, rückte ihre Tasche zurecht und trat in die Masse hinein.

Carl betrieb ein kleines Informationsnetzwerk von seiner Bar aus, das Torchlight Express. Als alter Erzsucher, der für eine nicht mehr existente Terraforming-Firma gearbeitet hatte, tauschte Karl bewegliche Mineralien gegen Alkohol und Informationen. Tonya kannte ihn seit Jahren. Was Menschen betraf, war Carl ein Juwel.

Im Express war nichts los. Tonya überprüfte die Ortszeit. Es war Abend, also gab es keinen wirklichen Grund, warum dem so war. Eine Gruppe von Erzsuchern saß an einem Tisch in der Ecke und befand sich in einer gedämpften Konversation. Carl lehnte an der Bar und schaute ein Sataball-Spiel auf einem Bildschirm an der Wand. Seine ledrigen Finger trommelten einen Takt, der ihm im Kopf herumzuschwirren schien.

Sein Gesicht erhellte sich, als er Tonya sah. „Nun, nun, nun, wie kommen wir zu der Ehre, Doktor?“ sagte er mit einem Grinsen. „Fang gar nicht erst an, Carl.“

„Sicher, sorry, Doktor.“ Ihm musste langweilig sein. So nannte er sie nur, wenn er Streit anfangen wollte. Tonya ließ ihre Tasche zu Boden gleiten und setzte sich auf einen Barhocker. „Irgendwas interessantes?“, fragte Tonya, während sie ihre Haare zurückband.

„Mir geht´s gut, Tonya, danke der Nachfrage. Das Geschäft ist aktuell etwas ruhiger, aber du weißt ja, wie es ist“, sagte Carl sarkastisch und schob ihr einen Drink zu. „Komm schon, Carl. Ich werde dich nicht mit Smalltalk langweilen.“ Carl seufzte und schaute sich um. „Mittlerweile ist mir jeder willkommen, der auch nur ein bisschen was zu sagen hat.“ Er goss sich mit dem Getränkespender ebenfalls einen Drink ein. Tonya drehte ihr mobiGlas herum und zeigte ihm ihre Frachtliste. Er las sie sich durch. „Diesmal etwas leichter beladen, hmm?“

„Ich weiß. Kennst du irgendwelche Käufer?“ „Wie viel willst du dafür haben?“ „So viel, wie ich kriegen kann“, antwortete Tonya und nahm einen Schluck. Sie sah, dass diese ausweichende Antwort Carl ärgerte. „Ich brauche das Geld.“ Nach einer langen Pause sagte er „Ich könnte dir möglicherweise zehn geben.“

„Für zehn würde ich dir mein ungeborenes Kind geben.“ „Mit all den ungeborenen Kindern, die du mir schuldest, solltest du mal lieber anfangen“, sagte er. Tonya boxte gegen seinen Arm.
Einer der Erzsucher kam mit leeren Gläsern in Richtung der Bar. Er war jung, einer dieser Typen, die das „Dreckig attraktiv“-Aussehen pflegten. Vermutlich hatte er eine Stunde darauf verwendet, den Look zu perfektionieren, bevor er aufgebrochen war. „Noch ne Runde.“
Während Carl die Drinks nachfüllte, schaute der Erzsucher Tonya an und gab seinem Aussehen die Chance, seine magische Arbeit zu tun. Vergebens. Carl stellte eine frische Runde Drinks hin. Der Erzsucher bezahlte und zog sich zu seinem Tisch zurück.
„Ich glaube, da mag dich jemand“, frotzelte Carl.
„Nicht mein Typ.“

„Lebendig?“

„Exakt.“ Tonya betrachtete die Erzsucher. Sie waren in ein geheimnistuerisches Gespräch vertieft. „Hast du eine Ahnung, warum sie hier sind?“

„Natürlich weiß ich das.“

„Ja? Worüber sprechen sie?“

„Nichts…nun ja, zumindest sprechen sie nicht mit mir.“ Carl zog sich ein Ohrteil aus dem Ohr und reichte es ihr. Tonya wischte es ab und hörte hinein. Plötzlich konnte sie ihre Stimmen laut und klar hören. Tonya schaute Carl verblüfft an.

„Du hast Mikrofone auf deinen Tischen?“, flüsterte sie. Carl bedeutete ihr zu schweigen.

„Ich handle mit Informationen, Süße, also ja.“ sagte Carl, fast schon beleidigt.

Tonya nahm einen weiteren Schluck und hörte den Erzsuchern zu. Er dauerte nur eine kurze Zeit, bis sie auf dem neuesten Stand war. Scheinbar hatte Cort, der Erzsucher, der versucht hatte, Tonya mit seinem Charme zu verzaubern, einen Tipp von seinem Onkel in der UEE Navy erhalten. Der Onkel hatte Such- und Rettungsübungen im Hades-System abgehalten, als ihre Scanner aus Versehen eine Kheriumader auf Hades II entdeckt hatten. Als Militärangehörige hatten sie natürlich nichts davon, aber Cort und seine Kumpels waren nun versessen darauf, sich reinzuschleichen und sich das Erzvorkommen zu sichern.

Kherium war ein beliebtes Gut. Wenn es diese Erzsucher wirklich drauf hatten, hatten sie ein kleines Vermögen vor sich. Sicher ausreichend, um die Beacon zu reparieren und vielleicht sogar ein paar Updates zu installieren. Und was noch besser war, sie hatten offensichtlich keine Ahnung, wie sie es finden sollten. Kherium tauchte auf den üblichen Metall- und Strahlungsscans nicht auf. Es braucht einen Spezialisten, um es zu finden und vor allem, um es zu extrahieren, ohne es zu verunreinigen. Zum Glück für Tonya wusste sie, wie man beides machte. „Du hast diesen Blick drauf“, sagte Carl und füllte ihr Glas auf. „Gute Nachrichten?“

„Ich hoffe doch, Carl, für uns beide.“