Literatur: Flüstern in der Dunkelheit - Kapitel: 2


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VerseExkurs - Literatur: Flüstern in der Dunkelheit - Kapitel: 2


Carl lud ihre Fracht zu einem reduzierten Preis aus, sodass sie sich so schnell wie möglich wieder auf den Weg machen konnte. Als sie zuletzt geschaut hatte, waren die Erzsucher immer noch im Express und nach dem, was sie so hörte, würden sie dort auch noch für ein paar Stunden bleiben, vielleicht sogar noch einen Tag.

Tonya dockte die Beacon ab und befand sich schnell wieder  in der von ihr geliebten Einsamkeit. Die Triebwerke summten, als sie tiefer ins All vorstieß, in Richtung einer Lebensader.

Das Hades System war ein Grab, das letzte Monument eines antiken Bürgerkriegs, der ein ganzes System und die darin beheimatete Rasse ausgelöscht hatte. Es befand sich bereits auf Tonyas Liste der Orte, die sie studieren wollte, aber jedes Jahr überfielen Horden junger Wissenschaftler für ihre Dissertationen oder Schatzjäger das System, um nach der Waffe zu suchen, die Hades IV in zwei Hälften geschossen hatte. Dadurch füllte sich das System mit noch mehr Lärm, den es für Tonya zu meiden galt.

Tonya musste sich eingestehen, dass der Vorbeiflug an Hades IV immer einen Nervenkitzel darstellte. Man kann ja nicht jeden Tag das Innere eines Planeten sehen, der in der Blüte seines Lebens vernichtet worden war.

Und dann gab es noch das Geflüster, dass es in dem System spuken würde. Es gab immer irgendeinen Piloten, der einen Typen kannte, der jemanden kannte, der etwas gesehen hatte, als er durch das System geflogen war. Die Geschichten reichten von unerklärten, technischen Fehlfunktionen bis hin zu vollen Sichtungen von Geisterschiffen. All das war Schwachsinn.

Es gab einen lockeren Strom von Schiffen, die durch Hades flogen. Die allgemeine Schiffsflugroute hielt sich von den zentralen Planeten fern. Tonya verlangsamte ihr Schiff, bis es eine beträchtliche Lücke im Verkehrsfluss gab, bevor sie in Richtung Hades II abdrehte.

Sie passierte eine Barriere aus toten Satelliten und sank in die wogende Atmosphäre von Hades II. Die Beacon wurde durchgerüttelt, als sie auf die Wolken traf. Die Sichtweite reduzierte sich auf Null und plötzlich war das Schiff von Lärm, schrillenden Luftströmen und Druck umgeben. Tonya hielt ihren Blick auf die Zielcomputer gerichtet und erhöhte die Reichweite ihrer Annährungsalarme, um sicherzustellen, dass sie keinen Berg rammen würde.

Plötzlich lichteten sich die Wolken. Die Beacon stieß in die niedrige Schwerkraft über einem pechschwarzen Ozean herab. Tonya kalibrierte ihre Triebwerke schnell für den Atmosphärenflug und ließ einen langen Blick über den Planeten unter ihr schweifen.
Wie erwartet, war es ein ausgehöhlter, felsiger Ball. Es gab Zeichen für intelligente Zivilisation, aber all diese zerbröckelten, waren verbrannt oder zerstört. Sie überflog weitläufige, gewölbte Städte, die auf ausgedehnten Bögen gebaut worden waren, damit die Gebäude den Planeten nicht direkt berührten.

Tonya blieb auf Reisehöhe. Das Röhren ihrer Triebwerke hallte durch die weite, leere Landschaft. Die Sonne war ein weiteres Opfer des Endes des Systems. Die Wolkensysteme lösten sich nie auf, sodass die Oberfläche nie das Sonnenlicht sah. Sie war immer in einen dunklen, grauen Dunst gehüllt. Tonya studierte die Topografie, um einen Kurs zu berechnen und aktivierte die Scanner, die sie auf die einzigartige Kherium-Signatur eingestellt hatte. Sie aktivierte den Autopiloten und schaute einfach aus dem Fenster.

Jetzt wo sie hier war, warf sie sich vor, nicht früher hergekommen zu sein. Es war egal, dass dies einer der am intensivsten wissenschaftlich untersuchten Orte des UEE war. Als sie die Ausmaße der Zerstörung mit ihren eigenen Augen sah, spürte Tonya den selben Ruck, den ein gutes Mysterium auf den Intellekt hatte. Wer waren sie? Wie hatten sie es geschafft, sich so effizient selbst auszulöschen? Woher wissen wir, dass sie sich wirklich komplett ausgelöscht haben?

Einige Stunden vergingen, ohne dass sie Glück bei ihrer Suche hatte. Tonya nahm einen schnellen Snack zu sich und ging ihr Trainingsprogramm durch. Sie überprüfte die Einstellungen ihrer Scanner ein weiteres mal, um Fehler bei der Ersteingabe auszuschließen. Einige Monate zuvor hatte sie einen Planeten untersucht und dabei nichts gefunden, nur um auf dem Rückflug zu merken, dass eine Einstellung falsch gewesen war, die den ganzen Scan wertlos gemacht hatte. Es ärgerte sie immer noch. Es war ein Anfängerfehler gewesen.

Sie rief ein paar Texte über Hades auf. Auf halbem Weg durch ein Paper über die Exobiologie über die Hadesianer, leuchtete ihr Bildschirm auf. Innerhalb eines Herzschlags saß Tonya davor.

Die Anzeige zeigte verblassende Spuren von Kherium unter ihr an. Sie überprüfte die Einstellungen ein drittes Mal, bevor sie wagte, sich weitere Hoffnungen zu machen. Sie sahen korrekt aus. Sie schaute nach vorne. Vor ihr lag eine kleine Stadt, unter der sich ein endloses Meer aus toten Bäumen erstreckte. Es sah so aus, ob ein Orbital-Laser oder etwas ähnliches massive, tiefe Krater in den Boden und die Gebäude gestanzt hatte.

Tonya schaute genauer hin. Die Krater reichten etwa 200 Meter in den Boden hinein und offenbarten Netzwerke aus unterirdischen Tunneln. Diese sahen aus wie Teil eines Transportsystems.

Tonya suchte nach einem geeigneten Landeplatz, der Schutz vor Schiffen bieten würde, die über sie fliegen könnten. Wenn sie immer noch hier wäre, wenn die Erzsucher auftauchten, wäre ihr Schiff ein offensichtlicher Hinweis und die Sache würde ziemlich kompliziert werden. Sie zog sich ihren Umweltanzug und ihr Atemgerät an. Sie konnte ihre Schiffsscanner von ihrem mobiGlas aus bedienen, fügte jedoch auch noch einen tragbaren Scanner/Kartierer ihrer Bergbauausrüstung hinzu, nur um sicher zu gehen. Zum Schluss aktivierte sie noch ihre Transportkiste, in der Hoffnung, dass die Anti-Gravitationsmodule ausreichen würden, um das Kherium zurück zum Schiff zu schaffen.
Tonya schritt nach draußen auf die Oberfläche. 

Der Wind heulte um sie herum und wirbelte Staub auf. Sie schob die Kiste vor sich durch den verbrannten Wald. Knorrige Äste kratzten an ihrem Anzug, während sie an ihnen vorbei schritt. Die Stadt ragte über ihr auf, schwarze Silhouetten gegen die grau-grünen Wolken.

Ihre Neugier überwältigte sie, also nahm Tonya eine Rampe in die Straßen der Stadt hinauf. Sie sagte sich, dass der Umweg gut für die Batterien der Transportkiste sein würde. Glatte Straßen wären für die Anti-Gravitationskompensatoren einfacher zu analysieren als unebenes Gelände.
Tonya bewegte sich durch die öden, leeren Straßen in Ehrfurcht. Sie studierte die seltsamen Bögen der Architektur. Jeder von ihnen zeigte ein fremdes, aber trotzdem brillantes Verständnis von Druck und Gewichtsverteilung. Der gesamte Ort wirkte gleichzeitig natürlich und doch irgendwie seltsam.

Die Kherium Signatur war immer noch schwach, aber sie war da. Tonya manövrierte die Kiste um zerstörte Fahrzeuge herum. Einschusslöcher und sonstige Zeichen in den Gebäuden und Straßen ließen sie vermuten, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte, wenn auch vor hunderttausenden von Jahren.

Der Krater, der dem Kherium am nächsten lag, war ein perfektes Loch, welches durch die Mitte der Stadt in den Boden gestanzt war. Tonya stand an der Kante und suchte nach dem einfachsten Weg nach unten. Die Kiste könnte runterschweben, aber sie würde klettern müssen.

Nach wenigen Minuten hatte sie ein Seil mit Sicherungen für sich und die Kiste befestigt. Sie ließ sich über die Kante gleiten und seilte sich an der bloßen Wand ab. Die Kiste machte den Abstieg, der eigentlich hätte leicht sein sollen, etwas komplizierter. Die Anti-Gravitationsmodule bedeuteten, dass jede Form der Krafteinwirkung dazu führen würde, dass die Kiste davongleiten konnte, also musste Tonya ständig eine Hand an der Kiste haben. Um die Angelegenheit noch schlimmer zu machen, nahm der Wind auch noch zu und wehte kleine Steine, Äste und Trümmerstücke durch die Luft.

Plötzlich gellte ein schriller Schreidurch die Luft. Tonya erstarrte. Sie hörte ihn ein weiteres Mal und schaute sich nach der Quelle um. Dann erkannte sie: Der Schrei wurde lediglich von freiliegenden Stützstrukturen erzeugt, die sich im Wind bogen.

Plötzlich wurde ihr klar, dass die Kiste ihrem Griff entglitten war. Sie glitt langsam in Richtung der Kratermitte, während der zunehmende Wind sie wie ein Spielzeug umher wirbelte. Tonya streckte sich, um sie zu erreichen, aber die Kiste befand sich nun knapp außerhalb ihrer Reichweite. Sie stieß sich von der Wand ab und schwang sich durch die wogende Luft. Ihre Fingerspitzen erreichten knapp die Kiste, bevor sie zurück an die Kraterwand knallte.

Ihr Blick trübte sich und sie konnte aufgrund des Aufpralls nicht mehr atmen. Ihr HUD spielte verrückt. Endlich kam sie wieder zu Atem. Sie nahm sich einen Moment Zeit, bevor sie ihren Abstieg fortsetzte.

Die Scanner der Beacon konnten die Signatur des Kheriums nicht noch klarer isolieren, um die Tiefe zu bestimmen, also musste Tonya sich auf ihr Handgerät verlassen. Es schien, als ob sich das Kherium zwischen zwei Tunneln befand.

Tonya sicherte die Kiste, kletterte in den oberen Tunnel und löste ihre Seile. Sie überprüfte den Zustand ihres Anzugs inmitten des Trümmer-Sturms. Der Computer spielt noch ein wenig verrückt, gab ihr aber das OK.

Sie schaltete eine Taschenlampe an und aktivierte die externen Mikrofone ihres Anzugs. Der Tunnel war eine perfekt in den Fels geschnittene Röhre, die sich in der Dunkelheit verlor. Tonya sah keinerlei Energie- oder Schienensysteme, um ihre Transportsystem-Theorie zu bestätigen. 

Sie begann, zu laufen.