Literatur: Flüstern in der Dunkelheit - Kapitel: 3


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VerseExkurs - Literatur: Flüstern in der Dunkelheit - Kapitel: 3


Stunden vergingen schließlich in der Dunkelheit. Tonya hatte ein flaues Gefühl im Magen, entschied sich, für ein paar Minuten auszuruhen. Sie nahm einen Schluck von ihrem Wasservorrat und überprüfte ihre Scanner. Sie befand sich immer noch über dem Kherium und es wurde noch immer vor ihr angezeigt. Diesbezüglich hatte sich nichts geändert.

Sie hörte etwas. Sehr leise. Sie öffnete die Audioeinstellungen und erhöhte die Soundverstärkung an den externen Mikrofonen. Ein Meer aus weißem Rauschen füllte ihre Ohren. Sie bewegte sich nicht, bis sie das Geräusch noch einmal hörte. Etwas, das gezogen wurde und dann aufhörte.

Infrarot- und Nachtsichtfenster erschienen in den Ecken ihres HUDs. Sie konnte nichts sehen. Durch die riesigen Ausmaße der Tunnel konnte man nur vermuten, welche Strecke das Geräusch zurückgelegt hatte. Trotzdem ging sie zur Kiste und holte die Schrotflinte heraus. Sie stellte sicher, dass sie geladen war und versuchte sich an den Zeitpunkt zu erinnern, als sie das letzte Mal einen Grund hatte, die Waffe zu benutzen.

Tonya begann, sich vorsichtig weiter zu bewegen. Sie bezweifelte, dass es die Erzsucher waren. Soweit sie wusste, könnten noch andere Schmuggler oder Piraten hier unten sein. Egal, sie würde kein Risiko eingehen.

Der Tunnel wurde langsam breiter, bevor er in eine ausgedehnte Dunkelheit führte. Nicht einmal Tonyas Nachtsichtgerät konnte das Ende erfassen. Sie wühlte in ihrer Ausrüstung und fand ein paar alte Fackeln, von denen sie eine entzündete.

Es war eine Stadt. Eine Spiegelstadt, um genau zu sein. Während sich die Stadt auf der Oberfläche dem Himmel entgegen reckte, war sie hinab Richtung Planetenkern gemeißelt. Brücken verbanden die verschiedenen Strukturen, die aus den Wänden der vielen Ebenen geschlagen worden waren. Von so etwas hatte sie noch nie gehört. Jedermann vermutete, dass ein Bürgerkrieg das System zerstört hatte. War dies eine Stadt der anderen Seite?

Sie erreichte eine Kreuzung und das erste Zeichen, dass der Kampf auch hier stattgefunden hatte. Eine Barrikade aus geschmolzenen Fahrzeugen blockierte einen der Tunnel. Die Wände waren durch Explosionen oder Laserschüsse verbrannt worden. Selbst ein Schatten schien in die Wand eingebrannt worden zu sein.

Tonya stand davor. Der Hadesianer schien eine rundlichen, massiven Körper mit mehreren dünnen Anhängseln gehabt zu haben. Ein tausend Jahre alter Fleck auf einer Wand ist kein richtiger Beweis, aber selbst als Silhouette sah es angsteinflößend aus.

Als nächstes entdeckte sie eine höhlendurchzogene Struktur. Tonya nähert sich, um die Handarbeit zu begutachten. Es war definitiv kunstvoller als die meisten anderen Gebäude hier unten. Hier gab e keine Türen, nur enge, ovale Portale. In die Seiten schien eine Art Technologie eingebaut worden zu sein.
Tonya entschied sich, einen Blick hinein zu werfen. Es war eine tiefe Schale mit Reihen voller Einfassungen, die in die Seiten eingebaut worden waren. Alle davon waren auf einen einzigen Punkt, einen marmorähnlichen Zylinder am Boden der Schale ausgerichtet. Tonya stieg hinab. Darauf befand sich ein kleiner Gegenstand. Sie zielte mit ihrer Schrotflinte und Taschenlampe darauf. Er bestand aus einem marmorähnlichen Stein wie der Zylinder. Tonya schaute sich um. War das eine Art Kirche?

Sie beugte sich nach unten, um einen besseren Blick auf den Gegenstand werfen zu können, vorsichtig, damit sie nichts störte. Es war eine kleine Schnitzerei. Es war keine hadesianische Form. Keine Form, die ihr bekannt war. Sie wägte ab, ob sie sie mitnehmen sollte.

Tonya war es plötzlich schwummrig zumute. Sie stolperte zurück und stützte sich auf den Einfassungen ab. Ein schleichender Schmerz begann in ihrem Arm zu brennen. Sie streckte ihn und versuchte das Brennen zu lösen. Sie warf einen letzten Blick auf die kleine Schnitzerei.

Tonya trat aus dem kunstvollen Gebäude hinaus und nahm ihren Scanner zur Hand. Das Kherium befand sich ganz in der Nähe. Sie folgte den Richtungsanweisungen des Scanners in die dunklen und verschlungenen Tunnel. Ihre Augen waren auf das zunehmende Leuchten des Bildschirms geheftet. Sie stolperte über etwas. Der Scanner fiel scheppernd zu Boden. Eine Minute lang hörte man das Echo noch.

Tonya schüttelte leicht ihren Kopf. Dieser Ort … sie schwenkte ihre Lampen zurück, direkt in das Gesicht einer verwesenden Leiche, deren Mund in einem stillen Schrei aufgerissen war. „Hölle!“, schrie sie, als sie davon wegrobbte. Sie schaute sich um. Eine weitere Form befand sich auf dem Boden, etwa sieben Meter entfernt. Eine Schließkassette befand sich zwischen ihnen.

Tonya stand auf, packte ihren Scanner und begab sich zu dem ersten Körper. Sein Schädel war zerschlagen. Es war jedoch keine Waffe, kein Knüppel oder eine Stange in der Nähe. Das war seltsam. Der andere hatte sich offensichtlich selbst erschossen. Die Waffe befand sich immer noch in seiner Hand. Sie waren definitiv menschlich und basierend auf ihrer Kleidung waren sie vermutlich Erzsucher oder Piraten. Tonya  wusste nicht, welche Arten von Elementen sich in der Luft befanden, also konnte sie keine verlässliche Schätzung abgeben, wie lange sie schon tot waren, aber sie ging von ein paar Monaten aus.

Sie schlurfte zur Schließkasette zurück und trat sie auf. Kherium. Bereits extrahiert und vorsichtig eingepackt. Süße Erleichterung drängte sich an ihrer Erschöpfung vorbei.

„Danke Jungs.“ Tonya gab ihnen einen kurzen Salut. „Sorry, dass ihr nicht hier seid, um es zu teilen.“ Etwas blitzte in ihrem IR-Fenster auf.

Tonya hob ihre Schrotflinte auf und zielte. Es war weg. Ihre Atmung wurde schnell und flach, während sie wartete. Ihr Finger schwebte über dem Abzug. Sie drehte die Audioverstärkung ihrer externen Mikrofone ein weiteres Mal hoch und scannte die Halle. Die ganze Zeit sagte sie sich, sie solle sich beruhigen.

Jede Bewegung ihres Anzugs wurde in ihren Ohren um das Hundertfache verstärkt. Sie folgte den Tunneln mit der Waffe im Anschlag und suchte nach dem, was auch immer sich hier drinnen mit ihr befand. Etwas kam durch das statische Rauschen.

„Willkommen zuhause“, zischte es.

Tonya feuerte in die Dunkelheit. Sie drehte sich um. Dort war nichts. Sie drehte sich erneut um und feuerte noch einmal. Die Schüsse jagten die Lautsprecher in ihrem Helm hoch. Sie griff sich die Schließkassette und rannte.

Sie rannte durch die rutschigen, geneigten Tunnel, die in tiefes Schwarz getaucht waren. Sie kam an der Kreuzung vorbei, wo der Hadesianer immer noch seine Arme angsterfüllt nach oben gestreckt hielt. Immer wieder schaute sie zurück. Sie konnte schwören, dass dort etwas war, gerade außerhalb der Infrarotkamera, das sie durch das statische Rauschen hindurch beobachtete.

Tonya sprintete eine Anhöhe hinauf und sah durch Wolken das zerstreute Licht des Ausgangs. Ihre Beine brannten. Alles was sie tun wollte, war zu schlafe, aber sie würde nicht anhalten. Sie wusste, dass wenn sie anhielt, sie diesen Ort nie wieder verlassen würde.

Sie zog sich am Seil hinauf und rannte durch den verbrannten Wald zurück zur Beacon. 30 Sekunden später verbrannten die Triebwerke die Erde. Eine Minute später durchbrach sie die Atmosphäre.

Während Hades II hinter ihr zurück fiel, versuchte sie, ihre Nerven zu beruhigen. Ihr Umweltanzug drehte sich langsam am Haken in der Dekontaminationskammer.

Die Atmungssysteme am Rücken des Anzugs waren beschädigt. Der Fall in den Krater musste das verursacht haben. Er hatte die Zuleitungen beschädigt und sie hatte zu viel Sauerstoff eingeatmet. Die Kopfschmerzen, die Übelkeit und Erschöpfung … selbst diese Stimme. Auch wenn sie bei dem Gedanken daran immer noch innerlich zu Eis erstarrte. All das waren vermutlich Halluzinationen und Reaktionen auf die Sauerstoff-Vergiftung gewesen.

Vermutlich.

Tonya setzte einen Kurs zurück zum Xenia Shipping Hub in Baker. Klar, sie hatte Güter zu verkaufen, aber gerade wollte sie einfach nur unter Leute kommen.

Sie wollte von Lärm umgeben sein.

Hinten in der Dekontaminationskammer stand winzige hadesianische Schnitzerei auf dem Boden.


ENDE