Literatur: Ein eigenes Gesetz - Kapitel: 3


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VerseExkurs - Literatur: Ein eigenes Gesetz - Kapitel: 3


„Also hat derselbe Schütze beide Agenten getötet. Gibt es sonst noch etwas, das die beiden verbindet?“ fragte Gates.

„Unsere Analysten glauben, dass ihre Ermittlungen auf die dieselbe kriminelle Organisation hindeuten.“

Gates konnte sich eine höhnische Bemerkung nicht verkneifen: „Das muss den Analysten wirklich Kopfzerbrechen bereitet haben, Drogenschmuggel und Menschenschmuggel liegen ja doch so weit auseinander.“

Vasser neigte ihren Kopf, ihr Gesichtsausdruck verriet nichts: „Es ist mehr als das. In den letzten zwei Jahren hatten wir es mit einigen ungewöhnlich verschlossenen Kriminellen zu tun, die zwischen den Systemen Corel,  Magnus und Nexus hin- und herpendelten. Wir haben einige von ihnen wegen irgendwelchen Straftaten festgenommen und fuhren das Standardprogramm: Wir boten ihnen Strafminderung und Zeugenschutz als Gegenleistung für ihre Aussage an. Aber niemand geht mehr darauf ein.“

„Ist jemand im Zeugenschutz ermordet worden?“, fragte er.

„Es ist nicht so, dass uns die Leute vom Zeugenschutzprogramm uns davon erzählen würden.“ Sie zuckte mit den Achseln: „So oder so, jemand hat wahrscheinlich behauptet, einen Zeugen getötet zu haben und all seinen Untergebenen gesagt, dass ihnen das Gleiche blüht, wenn sie sich gegen die Organisation wenden.

Etwa zur gleichen Zeit begann unsere beste Quelle für Informanten zu versiegen und einige weniger nützliche lokale Spitzel beschwerten sich über Konkurrenz im Drogenhandel. Les Inconnus – so nannten sie die neue Gruppe.“

„Irgendwelche elektronischen Geheimdienstinformationen oder Computeraufzeichnungen über ihre Existenz?“

Sie schüttelte den Kopf: „Nicht viel, und immer von Gruppen, die mit ihnen in Konflikt stehen, nie von jemandem innerhalb von Les Inconnus.“

Gates zog eine Augenbraue hoch.

Sie nickte. „Ungewöhnlich, ich weiß. Deshalb schickte mein Pendant bei der Drogenfahndung Knowles hinein. Die Geschichte mit Nawabi war mehr oder weniger die gleiche.“

„Schien einer von beiden in seiner Ermittlung voranzukommen?“

„Das steht alles in den Akten, aber die kurze Antwort lautet: Nein, sie hatten nicht viel erreicht. Knowles war in einige kleine lokale Vertriebsnetze eingedrungen und Nawabis letzter Kontakt mit seinem Handler erwähnte ein Treffen, das auf Nexus stattfinden sollte. Aber wir sind uns nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch lebte, als er Corel verließ.“

„Nein?“

„Die Ressourcen der Advocacy in diesem Sektor sind dünn gesät und wir wollten den Gegner nicht darauf hinweisen, wie dünn, indem wir zu viele Fragen stellen. An dieser Stelle kommt uns Ihre Suspendierung und Ihr Ruf zugute.“

„Bestreitbarkeit.“

Sie nickte. „Sie werden voll rehabilitiert und wiedereingesetzt, sobald Sie die Auftraggeber in diesem Fall identifiziert haben, falls Sie das wünschen. Andernfalls kann ich Ihre Dienste vielleicht in einer inoffiziellen Funktion gebrauchen.“

Und da ist es – ein Versprechen auf zukünftigen Ruhm für einen alten Haudegen oder eine unbedeutende Informantentätigkeit, sollte ich versagen.

„Irgendwelche Vorschläge, wo ich beginnen soll?“

„Nexus. Wir wissen, dass beide Agenten dort waren, wenn auch nur kurz.“

„Gibt es dort jemanden, mit dem ich reden kann, um die Lage zu erkunden?“

„Angesichts der jüngsten Ereignisse – niemandem, dem wir trauen können.“

„Gibt es noch mehr gute Nachrichten?“

Ihr Lächeln kehrte teilweise zurück: „Nur ein neues Schiff für Sie, alles andere finden Sie in der Datei auf Ihrem MobiGlas.“

„Hat der Auftrag ein Zeitlimit?“

Sie erhob sich: „Je früher desto besser... Schließen Sie einfach den Fall ab und finden heraus wer hinter den Morden steckt.“

Schließen Sie ihn ab, mit toten oder lebendigen Verdächtigen, übersetzte Gates und stand auf. „Jawohl, Ma'am.“

„Folgen Sie der blauen Linie zu Ihrem neuen Schiff, ich denke, es wird Ihnen gefallen.“

Gates bedankte sich bei ihr und zog sich zurück.

Da es in der Black Box keine Sichtfenster gibt, wusste Gates nicht, was ihm zugewiesen wurde, bis er im Andockring die ID-Plakette des Schiffs las, in der „Origin Jumpworks GmbH“ und das platinumrandete „325a“ eingeätzt war.

Eine 325a? Ein bisschen zu edel für mich, aber ich schätze, ich kann den gut betuchten Kopfgeldjäger spielen, wenn es sein muss.

Das absurd gut ausgestattete Cockpit war ein Schock nach der Avenger; es schaltete sich automatisch ein, als er eintrat. Er ließ das System eine Reihe von Diagnosen durchführen, während er sich die Bewaffnung des Schiffes ansah: Ein Satz Omnisky-VII-Laserkanonen für den Nahkampf und ein Paar Talon-SB-Raketengestelle, um die Reichweite zu vergrößern. Nicht zu auffällig für einen erfolgreichen Kopfgeldjäger – eigentlich geradezu perfekt.

Gates wählte eine der vielen Kennzeichnungen der 325a und setzte zum ersten von vielen Sprüngen an. Ich werde einen oder zwei Kuriere beauftragen müssen, ein paar Nachrichten zu verschicken, sobald ich unterwegs bin. Mal sehen, ob eine meiner Quellen etwas darüber herausfinden kann, was vor sich geht.
Mehrere Sprünge später und nach einigen frustrierenden Tagen in den zwielichtigeren Gegenden von Nexus war alles, was Gates vorzuweisen hatte, ein paar horrende Barrechnungen, ein paar böse Blicke der örtlichen Gesetzeshüter und den schleichenden Verdacht, dass er etwas kaputt machen musste, um in seiner Ermittlung weiterzukommen.

Und nun verspätete sich Kantor, ein Kleindealer und gelegentlicher Informant.

Aus Mangel an Möglichkeiten stand Gates wartend im Regen, der vom Dauerbetrieb eines der riesigen Terraformer auf Nexus herrührte, welcher noch immer die geradeso atembare Atmosphäre aufrechterhielt und verbesserte. Er wischte sich über sein kahles Haupt und zog sich tiefer in den zweifelhaften Schutz einer Werbetafel für ein Chemieunternehmen zurück, das behauptete, das Heilmittel für seinen Zustand zu besitzen.

Normalerweise wäre Gates gegangen und hätte den jungen Dealer versuchen lassen, ihn an einem anderen Tag ausfindig zu machen. Aber Kantor war der einzige Kriminelle, mit dem Gates gesprochen hatte, der das geringste Interesse gezeigt hatte, Informationen über Les Inconnus preiszugeben. Und selbst dann hatte er eine exorbitante Summe für seine Informationen verlangt. Wenn ein bisschen Regen und ein paar zusätzliche Minuten des Wartens der einzige Aufschlag auf den Preis dafür wären, würde ihn Gates gerne zahlen.

Die Kneipen, Spielhallen und Bordelle waren zwar rund um die Uhr geöffnet und bedienten die Hafenarbeiter, welche den Großteil der Bevölkerung von Nexus ausmachten, aber sie waren auch die unwahrscheinlichsten Orte, an denen Gates verlässliche Informationen erhalten konnte. Jeder dort verdächtigte den anderen, Les Inconnus Bericht zu erstatten, mit dem Ergebnis, dass niemand bereit war, zu reden.

Gates bewunderte fast die Intensität der Paranoia, die Les Inconnus bezüglich der Identität ihrer Mitglieder aufgebaut hatte. Noch besser war, dass sie diese mit sehr wenig offensichtlicher Gewalt aufrechterhielten: Er hatte bisher noch keinen einzigen Mord auf der Straße gesehen oder von einem in den Nachrichten gehört. Es sah alles nach einer hochprofessionellen Organisation aus, was die Frage aufwarf: Warum töteten sie Agenten? Denn das war normalerweise das Ende des stillen Geschäfts, da die Advocacy der schuldigen Organisation das Leben zur Hölle machte.

Wäre es eine kleine und gewalttätige Bande gewesen, hätte ich einfach angefangen, ihre Straßenschläger auszuschalten, bis sie genug hatten und entschlossen, mich zu jagen. Bei dieser größeren, raffinierteren Organisation würde dieser Weg nur zu meinem Tod führen. Trotzdem wäre es kurzfristig einfacher als das hier.

Ein Schatten löste sich aus der Gasse auf der anderen Straßenseite und bewegte sich in seine Richtung. Gates legte eine Hand an seine Waffe und drehte sich, um ein kleineres Ziel abzugeben.
Der Schatten löste sich in eine junge Frau auf, die Gates nicht erkannte. Sie blieb etwa zehn Meter entfernt von ihm stehen.

„Kopfgeldjäger?“, rief sie ihm durch den Regen zu.

„Wer sind Sie?“, fragte er.

„Niemand, ich bin nur hier, um Ihnen zu sagen, dass Kantor es sich anders überlegt hat und weder mit Ihnen noch mit sonst jemandem über irgendetwas reden will.“

„Wo ist er?“, fragte Gates und machte einen Schritt auf sie zu.

Ihre einzige Antwort war, sich umzudrehen und wegzulaufen.

Verdammt.

Gates ließ sie ziehen, sich ihrem Vorsprung und ihrer genauen Kenntnis der Gegend bewusst. Er drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Raumhafen. In Nexus komme ich im Moment nicht weiter, zumindest auf der Straße. Ich greife hier nach Strohhalmen, aber vielleicht kann D'Ivoire oder sogar Zara mit ihren Unternehmenskontakten helfen.

Er seufzte. Verdammt, ich hoffe es.

Er stand auf der Warteliste für die Starterlaubnis. Auf dem Raumhafen herrschte reger Betrieb, selbst so weit in die Nacht hinein. Schiffe aller Arten und Jahrgänge flogen die Oberfläche an, um Ladungen aus allen möglichen Systemen ab- und umzuladen. Den fünf Sprungpunkten, die das System mit den nahegelegenen Sternen verbanden, verdankte Nexus seinen Namen, sein hohes Handelsaufkommen und letztendlich auch die Verzögerungen im An- und Abflug. Auch wenn ein paar der Nachbarsysteme piratenverseuchte Müllhalden waren, so waren sie doch mit jenseitigen Systemen verbunden, mit denen sich der Handel lohnte.

Piraten. Das Wort löste sich aus seinem Unterbewusstsein. Ich frage mich, ob die Navy irgendwelche Daten über Les Inconnus besitzt. Allerdings, sie dazu zu bringen, ihre Informationen mit einem Zivilisten zu teilen... Moment, Morgan! Er hat doch Kontakt zu einem Konteradmiral oder so. Und er ist irgendwo dort draußen. Gates tippte auf die Konsole und zermarterte sich das Hirn. Nemo? Ja, Nemo.

Ein breites Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Zeit, den schuldigen Gefallen für die Sache in Vega einzuholen.

Die Konsole piepte und meldete, dass er für den Start freigegeben war.

Gates ließ die 325a vom Pad gleiten und baute sanft Energie auf, bis er sich von der dünnen, regnerischen Atmosphäre und Nexus‘ Schwerkraft gelöst hatte.

Dieses Schiff wird mich für jedes andere verderben.

Als sich der Planet hinter ihm entfernte, rief Gates den Navigationsplan auf. Er prüfte seine Optionen und entschied sich gegen einen Flug durch Corel. Wenn er zurückkommen musste, um auf Corel IV Fragen zu stellen, wollte er nicht, dass irgendjemand bemerkte, dass er sich erst kürzlich in dem System befunden hatte. Stattdessen wählte er den Taranus-Sprungpunkt. Das Navigationssystem begann sich zu aktualisieren, schaltete auf ein verdrießliches Bernstein-Gelb und zeigte an:

HINWEIS: SIE HABEN EIN STERNENSYSTEM AUSGEWÄHLT, IN DEM DIE NAVY KÜRZLICH EIN HOHES AUFKOMMEN AN PIRATERIE FESTGESTELLT HAT. MÖCHTEN SIE FORTFAHREN ODER EINE ANDERE ROUTE WÄHLEN?

Gates streckte seine Hand aus und drückte die Fortfahren-Taste.