Literatur: Ein eigenes Gesetz - Kapitel: 2


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VerseExkurs - Literatur: Ein eigenes Gesetz - Kapitel: 2


Gates ließ seinen Rucksack fallen und sah sich ein letztes Mal in seiner winzigen Wohnung um, um sich zu vergewissern, dass er alle seine wenigen persönlichen Gegenstände eingepackt hatte.

Zufrieden nahm er sein MobiGlas heraus und rief die Wohnungsgesellschaft an, um sie wissen zu lassen, dass er die Wohnung geräumt hatte.

Nachdem diese Formalität erledigt war, tätigte Gates einen weiteren Anruf. Angeliques herzförmiges Gesicht erschien auf dem Bildschirm und lächelte. Die blauen Flecken, die Kitty ihr zugefügt hatte, verblassten bereits. „Armi!“, sagte sie, die Augen zu glasig für völlige Nüchternheit, aber nicht so sehr, dass Gates davon besondere Notiz nahm.

„Schön zu sehen, dass es dir besser geht, Angelique.“

Sie nickte und bemerkte seine kühle Antwort. „Was ist los, Armi?“

„Ich verreise beruflich. Du wirst eine Zeit lang auf dich selbst gestellt sein.“

Angelique runzelte die Stirn, ihre hübschen Brauen zogen sich zusammen. „Aber wer wird sich um mich kümmern?“

„Du wirst weitermachen wie vereinbart. Es ändert sich nichts.“

„Der Sena-“

Er unterbrach sie, da er nicht wollte, dass sie den Titel benutzte. „Es ändert sich nichts. 

Die Zahlungen werden fortgesetzt. Bleib guter Dinge und halt die Ohren offen. Ich melde mich bei dir.“

„Was ist mit der anderen Sache?“, fragte Angelique und strich sich über ihr blaues Auge.
„Erledigt.“

„Einfach so?“

„Ja.“

„Danke.“

„Ein Ratschlag: Werde clean, wenn du kannst. Ich werde eine Weile nicht da sein, um solche Probleme zu lösen. Außerdem weißt du, dass das Zeug dir nicht guttut.“

Sie biss sich auf die Lippe und wendete ihren Blick ab. „Ich weiß ... danke.“

„Pass auf dich auf.“ Er schloss den Kanal und steckte sein MobiGlas weg. Entweder würde sie ihr Drogenproblem in den Griff bekommen, oder nicht. So oder so war sie eine gute Quelle über das geheime Leben von Senator Yaldiz, denn sie stand in dessen Zentrum. Er warf einen letzten Blick auf die Wohnung. Zwei Jahre, reduziert auf einen einzigen Rucksack und ein paar neue Informanten; einige bei der Advocacy gemeldet, andere nicht. Nicht schlecht, aber nicht die beste Art und Weise, die Zeit eines erfahrenen Agenten zu nutzen. 

Er seufzte. Zurück zu sein, wird mir guttun, zurück bei Special Action. Gates nahm seinen Rucksack und ging.

Eine Stunde später trat er an den Schalter des örtlichen Advocacy-Schiffsverwalters, um das ihm zugewiesene Schiff abzuholen. Der Junge hinter dem Schalter lächelte, als er den Datenträger hinüberschob. „Avenger, Bezeichnung A3301. Die alte Schrottmühle steht in Hangar zwei.“

Gates ignorierte den Jungen, unterschrieb und ging in den Umkleideraum. Das Anziehen seines Fluganzuges ließ die alte Aufregung wiederaufleben und gab ihm Schwung, als er den Hangar betrat. Gates fand die Avenger anhand der Kennung, die auf ihr Heck gemalt war. Er schnaubte. Gates war versucht, zurückzugehen und dem Verwalter eine reinzuhauen: A3301 war ein frühes Modell der Avenger, aber mindestens ein Jahrzehnt jünger als er.

Er zuckte mit den Schultern und stieg die Leiter hinauf. Es ist schon zu lange her, dachte er und schleuderte den Rucksack in den alten Jäger.

Die Flugvorbereitung war einfach und schnell erledigt, seine alten Fähigkeiten kamen zurück. Gates meldete seinen Flugplan für die Reise in die Umlaufbahn und bat um die Abflugerlaubnis. Beides wurde schnell genehmigt.

Er hob etwas zögerlich ab, um ein Gefühl für die Maschine zu bekommen. Immerhin habe ich lange am Schreibtisch gesessen, sogar schon vor der Suspendierung.

Es formte sich ein aufrichtiges Lächeln auf Gates Lippen. Im Vergleich zu den Schiffen, die er bei Special Action flog, war die Avenger träge und in die Jahre gekommen, aber A3301 gehörte für die nächste Zeit ihm.

Die Reise zur Black Box war lang und wenig unterhaltsam, sie erforderte mehrere Transits und ein paar Stopps, um jeden zu verwirren, der versuchte, ihn zu verfolgen. Der unregelmäßige schwarze Asteroid war gar nicht so kastenförmig. Gates war einer der wenigen, die wussten, dass seine Form nicht der Grund war, warum Special Action ihn so genannt hatte – es war ihr Vorgehen, die Black-Box-Rekorder von Schiffen zu löschen, welche zufällig auf den Asteroiden gestoßen waren.

Das die Black Box umgebende Verteidigungsnetzwerk schickte mehrere Abfragen, um seine ID zu verifizieren. Für einen langen Moment war der einzige Hinweis darauf, dass er die Sicherheitsprotokolle erfüllt hatte, die Tatsache, dass er nicht in winzige Partikel zerfetzt worden war.

Ihm wurde eine Flugroute zugewiesen und er folgte dieser bis auf das letzte Komma. Bei manchen Dingen geht man einfach kein Risiko ein. Er flog in eine schwarze Grube auf der dunklen Seite des Asteroiden und koppelte sein Schiff langsam an den ausgefahrenen Andockkragen. Die Hülle klirrte, als Magnetverschlüsse in sein Schiff einrasteten und seine Systeme mit denen der Basis verbanden.

Gates lächelte, als sich seine Sensoren abschalteten und alle Lichter erloschen, bevor der Andockkragen begann, A3301 in den Asteroiden zu ziehen. Advocacy-Agenten vertraute man im Allgemeinen, aber bei Special Action war institutionelle Paranoia angesagt.

Auf diese Weise hätte er niemandem verraten können, welche Schiffe sich in der Andockbucht befanden, selbst wenn er es gewollt hätte.

„Special Agent Gates, willkommen zurück bei Special Action“, unterbrach eine Frauenstimme seine Gedanken. Ein leichter Akzent verdrehte die Worte auf angenehme Weise. „Ich bin Vasser, leitender Special Agent. Wenn sich Ihre Luke öffnet, folgen Sie der blauen Linie zu mir. Ich werde Sie in Ihre Mission einweisen.“

Der leitende Special Agent weist mich persönlich ein? Ungewöhnlich. Wahrscheinlich will sie den Ton angeben, indem sie den alten Haudegen erst einmal in seine Schranken weist. Gates fasste sich, sammelte seinen Rucksack ein und wartete darauf, dass die Luke aufging. Als dies geschah, folgte er der beleuchteten Linie durch eine Reihe von leeren Gängen bis zu einer Luke Er öffnete sie und blickte in einen kleinen Raum.

Darin saß Vasser, die Finger verschränkt auf dem Tisch vor ihr. Weiß-blondes Haar, kurz geschnitten, um unter einen Pilotenhelm oder eine Kampfrüstung zu passen. Alles in allem ein bisschen zu strikt für seine persönlichen Vorlieben, aber durchaus attraktiv. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, als sie seine Hand schüttelte. Guter Griff. Nicht zu hart. Ein gutes Zeichen.

Gates lächelte. „SAC Vasser.“

Sie deutete auf den Platz gegenüber ihrem. „Special Agent Gates. Ich hoffe, Ihre Reise war nicht zu anstrengend?“

Er schüttelte den Kopf. „Es war schön, wieder in einem Cockpit zu sitzen.“

Sie lächelte und zeigte zum ersten Mal ihre weißen Zähne: „Vielleicht werden Sie es noch bereuen, in einem zu sitzen, bevor das hier vorbei ist.“

„Das bezweifle ich, aber erzählen Sie mal.“
„Also gut.“ Sie tippte auf die Tischplatte und rief eine Reihe von Dateien auf.

Gates hörte sein MobiGlas piepen, als es Kopien zur späteren Überprüfung empfing.

„Drei Advocacy-Agenten wurden in den letzten Monaten ermordet.“

Das erregte seine Aufmerksamkeit. „Warum habe ich ni–“ Er verkniff sich die Frage, als ihm klar wurde, warum er nichts gehört hatte: Wenn es sich um Todesfälle von Undercover-Agenten bei aktiven Ermittlungen handelte, wären sie nicht gemeldet worden, zumindest nicht über Kanäle, zu denen ein suspendierter Agent Zugang hätte.

Sie fuhr fort, als hätte er nicht angefangen, etwas Dummes zu sagen: „Wir haben bereits ein Team, das dem Hauptverdächtigen in einem der Fälle auf den Fersen ist, aber ich beauftrage Sie damit, die beiden anderen Fälle zu untersuchen. Im Stillen, als Kopfgeldjäger.“

Das passt nicht zusammen.

Sie durchschaute ihn zu leicht oder wurde sich zumindest bewusst, dass ihre Erklärung nicht ausreichte: „Gibt es ein Problem, Agent Gates?“

Er zuckte mit den Schultern: „Nur, dass ich nicht für den diskreten Charakter meiner Ermittlungen bekannt bin.“

Ihr Lächeln kehrte zurück. Er beschloss, dass es ihm gefiel, als sie fortfuhr: „Nein, Sie sind dafür bekannt, Dinge kaputt zu machen. Das wird uns in diesem Fall helfen: Außer Ihnen, mir und Ihrem alten SAC weiß niemand, dass Ihre Suspendierung aufgehoben wurde.“
„Wegen Oda, sie ist kein Fan von mir… Und dann ist da noch der Schiffsverwalter, der mir das Schiff zugewiesen hat, mit dem ich hergekommen bin.“

„Mein Problem, und schon geklärt.“

„In Ordnung.“

Eine kaum sichtbare Augenbraue wölbte sich. „Einfach so?“

Er lächelte. „Wenn Sie sagen, das Thema Oda ist geklärt, dann ist es geklärt. Dasselbe gilt für den Jungen, der das Schiffsdepot verwaltet. Darüber hinaus möchte ich lieber erfahren, was Sie über denjenigen wissen, der glaubt, er könne unsere Agenten ungestraft umbringen.“

Sie sah ihn einen langen Moment an, scheinbar kurz davor, etwas zu sagen.
Gates wartete gespannt.

Vasser erwiderte nichts, blickte stattdessen herab und rief das Bild eines Agenten in seiner Akademieuniform auf. „Agent Max Nawabi. Hat vor zwölf Jahren seinen Abschluss gemacht.

Letzter Auftrag: Zollkontrolle und Vollstreckung. Wurde undercover in Corel eingesetzt, um Gerüchten über Sklavenhandel nachzugehen. Es war als Langzeitoperation angedacht. Er meldete sich regelmäßig, bis sein Handler vor zwei Monaten den Kontakt zu ihm verlor. Letzten Monat wurde er tot in einer Gasse auf Nexus aufgefunden.“

Ein weiteres Abschlussbild. „Agent Gage Knowles. Hat vor zehn Jahren seinen Abschluss gemacht. Letzter Auftrag: Rauschgiftfahndung. Wurde in Nexus für eine Langzeit-Undercover-Operation bezüglich des Drogenhandels entlang der Systeme Magnus, Nexus und Corel eingesetzt. Erstattete regelmäßig Bericht, bis der Kontakt vor zwei Monaten abbrach. Tauchte auf Nexus in einem Müllhaufen auf, wenige Tage nach dem Auffinden von Nawabis Leiche.“

„Abgesehen vom Timing, was lässt Sie glauben, dass die Morde in Zusammenhang stehen?“

Sie blickte Gates an und rief die Autopsien beider Agenten auf. „Sie unternahmen so gut wie keinen Versuch, die beiden Morde zu vertuschen, und die verwendete Waffe war in beiden Fällen die gleiche.“

„Exakt die gleiche?“

„Ja.